Profil
Bild zeigt Daniel Feyler / Geschäftsführer von PKV mit Plan

Daniel Feyler

PKV-Experte

Was bedeutet vorvertragliche Anzeigepflicht?

zuletzt aktualisiert ・ November 22, 2025

Die vorvertragliche Anzeigepflicht ist eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, dem Versicherer vor Vertragsabschluss alle relevanten Informationen offenzulegen, die für die Risikobeurteilung und die Entscheidung des Versicherers zum Vertragsabschluss wichtig sind.

Diese Pflicht ist in § 19 Abs. 1 VVG gesetzlich geregelt.

Laut Gesetzeswortlaut musst du bis zur Abgabe deiner Vertragserklärung alle dir bekannten Gefahrumstände anzeigen, die für die Entscheidung des Versicherers erheblich sind, vom Versicherer in Textform erfragt wurden, und dir bekannt sind.

Positive Kenntnis ist erforderlich, nicht das, was du hättest wissen müssen.

§ 19 VVG definiert Umfang und Grenzen der Anzeigepflicht

Die vorvertragliche Anzeigepflicht ist in § 19 Abs. 1 VVG gesetzlich geregelt. Du musst bis zur Abgabe deiner Vertragserklärung alle dir bekannten Gefahrumstände anzeigen, die:

  • Für die Entscheidung des Versicherers erheblich sind, also die Risikobeurteilung und die tarifliche Einstufung wesentlich beeinflussen
  • Vom Versicherer in Textform erfragt wurden, eine bloße Vermutung oder mündliche Anfrage reicht nicht
  • Dir bekannt sind, nur positive Kenntnis ist erforderlich, nicht das, was du hättest wissen müssen

Das Wort „Textform“ ist dabei entscheidend: Der Versicherer muss die Fragen schriftlich stellen, etwa per Brief, E-Mail oder im Versicherungsantrag, damit die Anzeigepflicht ausgelöst wird. Mündliche Fragen oder allgemeine Vermutungen über das, was den Versicherer interessieren könnte, reichen nicht aus.

Gefahrerhebliche Umstände variieren je nach Versicherungsart

Gefahrerhebliche Umstände sind alle Informationen, die das Eintrittsrisiko des Versicherungsfalles beeinflussen oder wahrscheinlicher machen.

Sie sind das Zentrum der vorvertraglichen Anzeigepflicht und unterscheiden sich je nach Versicherungsart erheblich:

Bei Krankenversicherungen, besonders PKV:

  • Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herzerkrankungen
  • Psychische Erkrankungen und Psychotherapie in der Vergangenheit
  • Chronische Erkrankungen jeder Art
  • Laufende medizinische Behandlungen oder regelmäßige Medikamenteneinnahme
  • Body-Mass-Index und Gewichtsentwicklung
  • Raucher- oder Alkoholstatus

Bei Berufsunfähigkeitsversicherungen:

  • Frühere psychische Erkrankungen oder Behandlungen
  • Behandlungen aufgrund von Angststörungen oder Depressionen
  • Chirurgische Eingriffe in der Vergangenheit
  • Besondere berufliche Risiken oder gefährliche Tätigkeiten
  • Rücken- oder Gelenkbeschwerden

Bei Wohngebäudeversicherungen:

  • Bauliche Veränderungen am Gebäude
  • Umnutzung des Gebäudes von Wohn- zu Gewerbezwecken
  • Neue Gewerbetriebe im Gebäude
  • Denkmalschutzstatus oder besondere Bauweise

Bei Kapitallebensversicherungen:

  • Riskante Hobbys wie Motorsport, Bergsteigen oder Extremsportarten
  • Frühere schwere Erkrankungen mit möglichen Langzeitfolgen
  • Berufliche Tätigkeiten mit erhöhtem Risiko

Welche Einschränkungen gelten bei der Anzeigepflicht in der PKV?

1. Begrenzung auf vom Versicherer abgefragte Umstände

Die Anzeigepflicht ist limitiert auf abgefragte Umstände. Du musst nicht ungefragt umfangreiche Informationen preisgeben. Wenn also in einem PKV-Antrag nicht nach Zahnbehandlungen gefragt wird, musst du diese nicht angeben – auch wenn sie im Leistungsfall relevant sein könnten. Der Versicherer muss aktiv und konkret fragen.

2. Nur tatsächlich bekannte Umstände müssen angegeben werden

Du musst nur von Umständen berichten, die du tatsächlich kennst, also positive Kenntnis hast. Wer sich beispielsweise bei der Antragstellung einer Vorerkrankung nicht bewusst ist, weil ein Arzt eine falsche Diagnose gestellt hat oder die Diagnose nie mitgeteilt wurde, erfüllt damit nicht fahrlässig die Anzeigepflicht, wenn diese Erkrankung unbekannt war.

Du musst nicht aktiv nach möglichen Erkrankungen forschen oder alte Arztberichte anfordern. Es reicht, das anzugeben, was du aus deiner Erinnerung und deinem Wissen heraus kennst.

3. Zeitliche Begrenzung bis zur Abgabe der Vertragserklärung

Die Anzeigepflicht besteht nur bis zur Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers. Nach Vertragsabschluss gibt es, mit wenigen Ausnahmen, keine Nachmeldepflicht mehr für neu hinzukommende Umstände.

Das bedeutet: Wenn sich beispielsweise nach der Antragstellung, aber vor Vertragsbeginn neue Symptome zeigen, musst du diese nicht nachmel den. Der maßgebliche Zeitpunkt ist die Abgabe deiner Vertragserklärung, also typischerweise die Unterschrift unter den Antrag.

4. Hinweispflicht des Versicherers auf Rechtsfolgen

Ein oft übersehener, aber wichtiger Punkt: Der Versicherer muss dich ausdrücklich in gesonderten Mitteilungen in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hinweisen, damit er seine Rechte wie Rücktritt oder Kündigung geltend machen kann.

Fehlt diese Hinweismitteilung, kann der Versicherer nicht wie vorgesehen vorgehen – das ist ein wichtiger Schutz für Versicherungsnehmer. Der Versicherer muss dich also nicht nur fragen, sondern auch auf die Konsequenzen hinweisen, wenn du falsch antwortest.

Abgrenzung: Anzeigepflicht vor Vertrag vs. Gefahrerhöhung nach Vertrag

Diese beiden Konzepte sollten nicht verwechselt werden, da sie unterschiedliche Zeitpunkte und Situationen betreffen:

Vorvertragliche AnzeigepflichtGefahrerhöhung
ZeitpunktVor VertragsabschlussNach Vertragsabschluss
UmständeRisikoumstände vor AbschlussVeränderung bestehender Umstände
BeispielNicht gemeldete Vorerkrankung im AntragNeue Erkrankung nach Vertragsabschluss
PflichtKeine Nachmeldepflicht nach AbschlussAnzeigepflicht für Änderungen
Regelung§ 19 VVG§ 23–27 VVG

Nach Vertragsabschluss bist du grundsätzlich nicht verpflichtet, dem Versicherer neu auftretende Erkrankungen oder Risiken mitzuteilen. Die Anzeigepflicht endet mit dem Vertragsschluss.

Praxisbeispiel 1: Korrekte Erfüllung der Anzeigepflicht

Ein Antragsteller für eine BU-Versicherung wird gefragt: „Hatten Sie in den letzten 10 Jahren eine psychische Erkrankung?“ Er beantwortet ehrlich mit „Ja, Depressionen 2015-2016, erfolgreich behandelt, seitdem beschwerdefrei“. Er gibt den Namen des behandelnden Psychotherapeuten, die Anzahl der Sitzungen und das Ende der Behandlung an.

Dies ist eine korrekte Erfüllung der Anzeigepflicht. Der Versicherer kann nun entscheiden, ob er den Antrag annimmt, ablehnt oder mit Risikozuschlag versichert. Der Antragsteller ist auf der sicheren Seite.

Praxisbeispiel 2: Vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht

Derselbe Antragsteller antwortet auf die identische Frage mit „Nein“, obwohl er genau weiß, dass er 2015-2016 wegen Depressionen in Behandlung war und dies auch in seinen Krankenakten dokumentiert ist. Er verschweigt diese Information bewusst, weil er befürchtet, sonst abgelehnt zu werden.

Dies ist eine vorsätzliche Anzeigepflichtverletzung mit schwerwiegenden Folgen. Der Versicherer kann bei Entdeckung den Vertrag anfechten oder zurücktreten, die Leistung komplett verweigern und gezahlte Prämien einbehalten. Im schlimmsten Fall steht der Antragsteller ohne Versicherungsschutz da.

Praxisbeispiel 3: Schuldlose Anzeigepflichtverletzung

Ein PKV-Antragsteller wird nach ärztlichen Behandlungen der letzten 5 Jahre gefragt. Er gibt eine oberflächliche Gelenkbehandlung nicht an, weil sie in seinen Unterlagen nicht auftaucht und er sich nicht daran erinnern kann. Der behandelnde Arzt hatte die Diagnose irrtümlich nicht dokumentiert.

Der Versicherer kann bei Entdeckung nicht zurücktreten, sondern nur mit einmonatiger Frist kündigen. Die Leistungspflicht bleibt bis zur Kündigung vollständig bestehen. Dies zeigt den Schutz ehrlicher Versicherungsnehmer.

Besondere Bedeutung in PKV und BU-Versicherungen

In besonders risikosensitiven Sparten wie der privaten Krankenversicherung und Berufsunfähigkeitsversicherung wird die Anzeigepflicht intensiv genutzt. PKV-Anträge enthalten typischerweise detaillierte Fragenkataloge, die 3 bis 10 Jahre zurückfragen und bis zu 20 oder mehr einzelne Gesundheitsfragen umfassen können.

Diese umfangreichen Fragen sind legitim und dienen dem Versicherer zur korrekten Risikoeinschätzung. Gerade bei PKV und BU ist die Gesundheitsprüfung das zentrale Element der Risikoprüfung, da hier die individuellen Gesundheitsrisiken den größten Einfluss auf die zu erwartenden Kosten haben.

Das Konzept der schuldlosen Anzeigepflichtverletzung ist gerade in diesen Sparten von großer Bedeutung.

Ein Versicherungsnehmer, der trotz ehrlicher Anstrengung eine Vorerkrankung übersehen hat, wird geschützt – der Versicherer kann nicht den Vertrag anfechten oder zurücktreten, sondern nur kündigen, und muss bis zur Kündigung alle Leistungen erbringen.